Nach einem volatilen Jahr 2018 haben wir in den vergangenen Wochen ein starkes Rally an den Börsen gesehen. Wieso?
Die Märkte sind in guter Verfassung. Zunächst hat der Handelskonflikt für eine gewisse Volatilität gesorgt, dann die Unwägbarkeiten in der Euro-Zone und schliesslich auch das abnehmende Wachstum in den USA. Im ersten Quartal 2018 waren die Marktteilnehmer etwas zu enthusiastisch, dafür im vierten viel zu pessimistisch. Nun sind die Aktien wahrscheinlich fair bewertet. Generell ist meine wichtigste Botschaft an Investoren: «Achtet auf euer fernes Anlageziel und weniger auf das kurzfristige Auf und Ab.» Ich bin ein langfristig ausgerichteter Optimist.
Der jetzige Bullenmarkt ist mit einer Dauer von zehn Jahren einer der längsten der Geschichte. Kann es immer weitergehen?
Darüber mögen viele Anleger reden. Aber ist es wirklich relevant, dass die Kurse an der Börse kurzfristig um 15 oder 20% fallen können, wenn der Anlagehorizont 30 Jahre beträgt? Spart man langfristig für die Altersvorsorge, ist es letztlich egal. Tatsächlich haben die massiven Kursverluste in der Finanzkrise Raum gelassen für eine längerfristige Erholung. Zudem wird die Weltwirtschaft immer stärker von Asien getrieben, wo viele Länder weiterhin beachtlich wachsen. Möglicherweise nähern wir uns dem Ende des Zyklus, aber ich kann nicht sagen, wann es so weit ist.
Welche Rolle spielen die Zentralbanken, die ihren Kurs in wenigen Wochen völlig verändert haben?
Sie fokussieren sich auf die niedrige Inflation. Das Fed rückt nicht weiter von der aggressiven Krisenpolitik ab und wird die Bilanz wohl nicht weiter verkürzen. Die Institution ist aber in einer besseren Lage als die sehr expansiv gebliebene Europäische Zentralbank. Was kann diese überhaupt noch tun, wenn sich das Wachstum in Europa abschwächt? Vor der Krise hat sich kaum jemand für die Zentralbanken interessiert, und auch künftig könnte das wieder so sein. Dagegen bereitet der zunehmende Populismus Sorgen.
Vor allem in Europa?
O nein, weltweit – auch in der US-Politik. Präsident Donald Trump ist auf dem internationalen Parkett kein Moderator mehr, wie das seine Vorgänger waren. Das ist sicher ein bedeutender Wandel in der Weltpolitik. Wir wissen nicht, ob er zu einem guten oder einem schlechten Ergebnis führt, die Verunsicherung ist gross. Verhandlungen zwischen den USA und Mexiko sowie Kanada führten zu harmlosen Änderungen in den Handelsabkommen, in Bezug auf China dürfte es zu einer Lösung kommen, weil beide Seiten eine Lösung brauchen – und dann ist Europa an der Reihe.
Wie sehen Sie Trumps China-Strategie?
Viele sagen, China habe im Handel unfaire Praktiken angewandt. Folglich ist Präsident Trump aggressiv aufgetreten. Sollte ein Handelsabkommen geschlossen werden, in dessen Rahmen China mehr amerikanische Produkte ordern würde, wäre das ein grosser Erfolg für Trump – ob man ihn mag oder nicht.
Was halten Sie von Trumps Wirtschafts- und Finanzpolitik?
Meine Gefühle sind gemischt. Die USA brauchten eine Unternehmenssteuerreform. Wir zählten zu den Ländern mit den höchsten Sätzen der Welt, nun haben wir diesen auf den OECD-Durchschnitt von 21% gesenkt. Besser wäre gewesen, ihn weniger stark zu senken und dafür mehr in die Infrastruktur zu investieren – eine der grossen Schwächen der USA.
Die US-Finanzpolitik ist sehr expansiv. Geraten die Staatsschulden ausser Kontrolle?
Die Defizite, die die US-Regierung anhäuft, könnten zu einem sehr ernsten Problem werden. Der US-Haushalt hat ein Defizit von rund 1 Bio. $ pro Jahr, ausstehende Schuldpapiere haben ein Volumen von 22 Bio. $. Es könnte eine Zeit kommen, in der das Angebot an Staatsanleihen grösser ist als die Nachfrage. Dies könnte Probleme für die US-Wirtschaft zur Folge haben. Sollten China und die USA ein Abkommen unterschreiben, das zum Kauf von mehr US-Produkten führt, könnte sich das US-Handelsdefizit verringern oder gar auflösen. Plötzlich würde China die 5% amerikanischer Staatsanleihen nicht mehr brauchen, die das Land momentan hält. Die Frage ist, ob dies zu einer Situation führen könnte, in der die US-Zinsen auf ein höheres Niveau steigen, als die Weltwirtschaft verkraftet. Höhere US-Zinsen würden den Dollar stärken, was wiederum die Schwellenländer und die amerikanische Wettbewerbsfähigkeit schwächen würde. Dies könnte erhebliche Auswirkungen haben.
Deutet etwas darauf hin, dass der Dollar den Status als Reservewährung verliert?
Nein, überhaupt nicht. Europäische Konzernchefs mögen auf eine Konkurrenzwährung zum Dollar hoffen, vielleicht sogar auf den Yuan. In naher Zukunft wird dies aber nicht passieren.
Wie interpretieren Sie die jüngste 180-Grad-Drehung des Fed?
Ich glaube, es ist nur eine Modifizierung der Strategie. Sollte die US-Wirtschaft um 3,5% wachsen, wird das Fed die Leitzinsen weiter erhöhen. Wenn nicht, wird es etwas länger abwarten. Von Letzterem gehe ich im Moment aus.
Übte Präsident Trump mit seiner Kritik an Jerome Powell Druck auf das Fed aus?
Nein, das hatte keinen Effekt.
Sind negative Zinsen von bis zu –6%, wie vom Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff vorgeschlagen, eine Option, um die Wirtschaft in der nächsten Krise zu stimulieren?
Negative Zinsen in den USA würden die Aktienkurse in den Himmel schiessen lassen und zu einer riesigen Blase führen. Das wäre aus meiner Sicht kein gutes Ergebnis.
Hat die Politik der Zentralbanken mit den Negativzinsen in der Euro-Zone und der Schweiz die Märkte nicht total verzerrt?
Niedrige Zinsen haben ohne Frage eine verstärkte Nachfrage nach Aktien geschaffen. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind aber nicht übertrieben hoch. In Europa besteht ein Grundproblem darin, dass die Bürger zu viel Geld auf ihren Bankkonten liegen haben. Wenn die Europäer in den vergangenen dreissig Jahren mehr und systematischer in Aktien und Obligationen investiert hätten, wäre es auch besser um die europäische Wirtschaft bestellt. Nehmen Sie als Beispiel die Schweiz, hier gibt es phantastische Industrieunternehmen. Ein Investor, der sich vor Jahren ein Portfolio entsprechender Aktien aufgebaut hat, steht heute gut da. Besser, als wenn er sein Geld auf der Bank parkiert hätte. So viele Leute bewundern Warren Buffett, aber kaum jemand investiert wie er.
Haben die Europäer ein Mentalitätsproblem?
Sie sind kurzfristiger orientiert als die Amerikaner und als viele andere Nationalitäten, wenn es ums Investieren geht. Das ist wohl die Folge einer langen Serie von Ereignissen in der Vergangenheit. Immerhin haben manche eine gute Pensionskasse.
. . . in der Schweiz zumindest.
Ja, wir wünschten, wir hätten ein ähnliches System.
Viele Europäer betrachten skeptisch, welche Rolle die Europäische Zentralbank in den vergangenen Jahren gespielt hat.
Die EZB hat einen phantastischen Job gemacht – einen besseren als die europäischen Regierungen. Europa hat einfach immer spät gehandelt. Die EZB hat im Jahr 2011 noch vorübergehend den Leitzins erhöht, und die Bankenstresstests kamen erst spät. Die amerikanische Notenbank war viel aggressiver. Europa ist nicht so robust wie die USA und Grossbritannien. Die wirtschaftlichen Folgen des Brexits wären in Grossbritannien viel grösser, wenn sich der Wechselkurs der eigenen Währung nicht an die Gegebenheiten anpassen könnte.
Müssen wir angesichts der demografischen Entwicklung und der tiefen Zinsen mit einer Rentenkrise rechnen?
Nein, wir stecken bereits mittendrin – auch wenn es die Regierungen noch nicht unmittelbar tangiert. Die Sorge, nicht gut genug auf die Alterung der Bevölkerung vorbereitet zu sein, geht vor allem in den USA, Grossbritannien und Teilen Europas um. Die Unternehmen haben die Mitarbeitenden bei der Vorbereitung auf die Pension nicht genügend unterstützt. Pensionskassen sind weitgehend unterinvestiert und halten zu wenige Aktien in ihren Portfolios. Sie erwirtschaften für die Begünstigten nicht die Renditen, die erforderlich sind, damit die Menschen in Würde in den Ruhestand gehen können. Wir arbeiten mit Microsoft und Versicherungsgesellschaften zusammen, um das Konzept der privaten Altersvorsorge neu zu definieren. Technologische Lösungen sollen dazu beitragen, das notwendige Wissen zu verbreiten – vor allem auch unter den Millennials. Ich glaube, die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes hängt stark davon ab, wie angemessen und wie verlässlich das Pensionssystem ist. Möglicherweise hängt sogar der aufkommende Populismus mit der Sorge darüber zusammen, dass Menschen länger leben, als ihre Ersparnisse ausreichen.
Lassen Sie uns nun über Blackrock reden. Wird die Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre weitergehen?
Ich war selten so zuversichtlich im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens wie heute. Wir haben es darauf ausgerichtet, sich in den Dienst der langfristigen Ziele der Kunden zu stellen, und dieses Angebot stösst weltweit weiterhin auf eine starke Nachfrage. Auch wenn ich davon ausgehe, die kommenden Jahre an Bord zu bleiben, werde ich das Unternehmen nicht bis in alle Ewigkeit leiten. Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen sich Vermögensverwalter darauf konzentrieren, was die Kunden eigentlich wollen und brauchen. Viele sind zu stark auf einzelne Produkte ausgerichtet. Es geht aber darum, Kundenbedürfnisse gesamtheitlich zu verstehen und den Kunden zu helfen. Was die Zukunft anbelangt, setzt Blackrock auf die Weiterentwicklung der Technologie. Wir werden in den nächsten Wochen einige Initiativen in diesem Bereich ankündigen. Wir profitieren von unserem selbstentwickelten Datenanalysesystem Aladdin, das wir auch anderen Häusern anbieten, etwa der Credit Suisse. Aladdin wird zur Infrastruktur im Investmentgeschäft.
Die Umschichtung von aktiv verwalteten Mitteln in passive Anlageformen trug zum Wachstum bei.
Dieser Trend wird sich beschleunigen.
Ist das eine nachhaltige Entwicklung? Selbst das New Yorker Fed brachte eine Studie heraus, in der die Sorge über mögliche Notverkäufe im Krisenfall durchschimmerte . . .
Dieses Paper sagte aber auch, dass ETF aufgrund der eingebauten «Sicherheitsventile» sicherer seien als andere Anlagefonds. Tatsächlich gibt es Eigenschaften von ETF, die solche Probleme viel unwahrscheinlicher machen als bei Anlagefonds. Bei ETF können Investoren die Preisfindung in Echtzeit verfolgen, während bei Anlagefonds die Bücher nur einmal am Tag in Übereinstimmung gebracht werden. Das Prozedere ist intransparenter als bei ETF. Das ETF-Geschäft wird aus drei Gründen weiterwachsen. Erstens verstehen die Kunden die Produkte immer besser, etwa auch, was die steuerliche Behandlung anbelangt. Zweitens hatten die aktiv verwalteten Fonds ein furchtbares Jahr 2018. Drittens verwenden immer mehr Anleger, Zentralbanken und Staatsfonds die ETF, um ihre Vermögen aktiv zu verwalten. Wollen sie zum Beispiel auf steigende Aktienkurse in China setzen, können sie das mit ETF tun.
Ist es vernünftig, dass immer mehr Indizes und ETF auf den Markt kommen?
Nein. Es gibt inzwischen Tausende ETF, aber nur ein Bruchteil davon ist für Anleger wirklich relevant. 15% der ETF sind für 95% des gesamten ETF-Handelsvolumens verantwortlich.
Was planen Sie in der Schweiz?
Wir lieben das Land. Wir haben Vorstandsmitglieder in der Schweiz, ich selbst habe bei der Credit Suisse gearbeitet – so gesehen, ist die Schweiz ein Teil von Blackrock. Wachsen wollen wir hierzulande organisch, und wir sehen vielfältige Möglichkeiten, zum Beispiel bei Pensionskassen.
Sie sprachen über den langfristigen Anlagehorizont. Wie passt das zusammen mit dem Quartalsdenken in der Firmenwelt?
Es gibt viele Hindernisse oder Ablenkungen beim langfristigen Investieren. Die Medien sind auf die kurze Sicht ausgerichtet. Das Gleiche gilt für viele Regierungen. Und auch die Unternehmenswelt ist schuld, doch die Unternehmen werden in diesem Punkt immer besser, nicht schlechter. Zweifellos haben Firmen mit einer langfristig orientierten Strategie die beste Performance. Eine Strategie ist nicht in Stein gemeisselt, aber sie dient zur Ausrichtung wie zum Beispiel der Polarstern in der Navigation. Es geht darum, trotz kurzfristigem Lärm das langfristige Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wir haben eine Reihe von Veränderungen gesehen, die von den Auswirkungen meines Briefes an CEO beeinflusst wurden. Unternehmen beginnen, ihren Zweck klarer und mit mehr Entschlossenheit zu formulieren. Das ist sehr ermutigend.
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